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Mental Health am Arbeitsplatz: Darum darf es kein Tabu Thema sein

Lisa Rätze
Lesezeit: ca. 9 Minuten

Die moderne Arbeitswelt stellt die Menschen heute vor enorme Herausforderungen. Alles muss schnell, effizient und fehlerfrei funktionieren. Jeder muss immer und überall erreichbar, gut gelaunt und stets bereit sein, das Beste zu geben. Für den Job - keine Frage.

In der Freizeit Weiterbildungen besuchen? Normal. Im ersten Urlaub seit zwei Jahren an einer wichtigen Präsentation für die Aufsichtsratssitzung arbeiten? Natürlich.

Experten sprechen von „Entgrenzung“ – die Grenzen zwischen Privatleben und Beruf verschwimmen und immer weniger Menschen schaffen es, eine gesunde Balance zu halten. Die Corona-Pandemie mit dem plötzlichen Wechsel ins Home-Office und vielen privaten Einschränkungen trug negativ zu dieser Entwicklung bei.

Die Konsequenz der bisherigen Praxis offenbart sich in einer dramatisch steigenden Anzahl von Ausfalltagen wegen psychischer Erkrankungen. Laut des aktuellen Psychreports der DAK-Gesundheit lag die Anzahl der Fehltage in 2021 etwa 41 Prozent über dem Niveau von vor 10 Jahren. Die DAK gibt darüber hinaus an, dass psychische Probleme nach wie vor in vielen Firmen in Deutschland ein Tabuthema darstellen. Während in der Personalabteilung eine Krankschreibung nach der anderen eingereicht wird, entscheiden sich Personalverantwortliche immer noch aktiv dafür, dieses sensible Thema zu ignorieren und lieber neben der Mitgliedschaft für das Fitnessstudio noch einen vergünstigten Yoga-Kurs anzubieten.

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Führungskräfte müssen Mental Health in den Fokus rücken und lernen, ihre Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen. Mit diesem Artikel möchten wir dir einige Anregungen und Tipps mit auf den Weg geben, damit du das psychische Wohlbefinden deiner Angestellten aktiv unterstützen kannst.

Warum spielt die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz eine immer größere Rolle?

Schon vor der Corona-Pandemie waren psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depression oder Burnout ein großer wirtschaftlicher Risikofaktor. Sie sorgten immer häufiger für Fehlzeiten. Insgesamt gehen laut dem Bundesministerium für Gesundheit heute rund 15 Prozent aller Fehltage auf Erkrankungen der Psyche zurück. Besonders kritisch für Unternehmen ist die Krankheitsdauer in diesen Fällen. Sie ist mit 36 Tagen rund dreimal so hoch wie bei anderen Erkrankungen, die die körperliche Gesundheit umfassen. Dabei sind alle Altersgruppen gleichermaßen betroffen.

Auf den betroffenen Personen lastet darüber hinaus ein großer gesellschaftlicher Druck. Denn psychische Erkrankungen werden nach wie vor stigmatisiert und tabuisiert. Dieses Klima des „Totschweigens“ wirkt sich auch negativ auf die Rückkehr in den Beruf aus, denn oft nehmen Angestellte einige Symptome als Langzeitfolgen mit in ihr Arbeitsumfeld.

Für Unternehmen wiederum bedeutet dies: erhöhte Personalausfälle, eine verringerte Leistungsfähigkeit (häufig auch nach akuter Erkrankung) und letztlich immense Ausgaben. Doch die gute Nachricht lautet: Die Lage ist nicht aussichtslos. Das Zauberwort heißt Prävention.

Welche Ursachen des Arbeitsumfelds liegen psychischen Belastungen und Erkrankungen zugrunde?

Die Auslöser mentaler Erkrankungen sind vielfältig, und nicht immer haben Unternehmen die Möglichkeit, sie überhaupt zu beeinflussen. Doch es zeigen sich seit einigen Jahren Trends, die erkennen lassen, dass bestimmte belastende Faktoren im Job die Arbeitsbelastung von Mitarbeitenden erhöhen und das gesundheitliche Risiko steigern. So sind nicht nur Arbeitspensum und Stresslevel gestiegen, auch die zunehmend verschwimmenden Grenzen zwischen Job und Freizeit erhöhen die mentalen Belastungen der Arbeitnehmer. Diese Entgrenzung führt zum Gefühl, immer erreichbar sein zu müssen und keine Möglichkeit mehr zu haben, von der Arbeit abzuschalten und sich zu erholen.

Weitere Auslöser für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz umfassen die folgenden Faktoren:

  • steigende Komplexität, mehr Anforderungen und dadurch häufiger auftretendes Gefühl der Überforderung,

  • schneller Wandel der Arbeitsbedingungen durch technologische Neuerungen,

  • geringere Arbeitsplatzsicherheit durch immer mehr globale Krisen und wirtschaftliche Unsicherheiten,

  • negatives Betriebsklima,

  • hoher Wettbewerb mit starkem Konkurrenzdenken in der Belegschaft,

  • fehlende Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte,

  • negative Work-Life-Balance.

Welche Rolle spielt das HR im Hinblick auf Mental Health?

Mitarbeiter einer Personalabteilung würden Gesundheitsvorsorge wohl nicht als erstes nennen, wenn sie über ihren Aufgabenbereich sprechen. Doch Kollegen und vor allem Manager der HR sollten die Verantwortung gegenüber den Bedürfnissen der Betroffenen ernst nehmen, und das über die Verwaltung von Personalakten hinaus. Die Crux dabei ist, dass immer mehr Personalverantwortliche angeben, in ihrem Arbeitsalltag überfordert zu sein. Die Last der modernen Arbeitswelt allein auf den Schultern der HR abzuladen ist nicht die Lösung, jedoch ist das Personalwesen von entscheidender Bedeutung für die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz.

Die Personalabteilung ist die erste Anlaufstelle für die persönlichen Bedürfnisse der Mitarbeiter. Ihre Aufgabe ist es, das Wohlbefinden der Angestellten in der Arbeitsumgebung zu begleiten und zu sichern und die Mitarbeiterzufriedenheit im Blick zu haben. Nach und nach erkennen immer mehr Unternehmen den Wert einer umfassenden Präventionsstrategie und beauftragen die HR mit der Ausarbeitung eines Wellbeing-Konzepts. Auf praktische Tipps für die Stärkung der psychischen Gesundheit werden wir gleich eingehen.

Vorher jedoch ein wichtiger Punkt, den viele Unternehmen übersehen: Die HR-Manager und generell Führungskräfte haben eine Vorbildfunktion und müssen die Kultur selbst leben, die sie etablieren möchten. Auch sie sollten regelmäßige Urlaube nehmen, ihre Überstunden in Grenzen halten und die Mittagspause zum Essen und nicht zum Arbeiten nutzen. Vor allem aber sollten sie Offenheit für das Thema psychisches Wohlbefinden ausstrahlen. Das Mindset der Führungsebene muss in dieser Hinsicht sensibilisiert werden, um ein Arbeitsklima zu schaffen, das die mentale Gesundheit der Mitarbeiter fördert und sichert.

Das HR-Team kann innerhalb des Unternehmens als Motor dafür dienen, psychische Gesundheit zu normalisieren und dem Thema mentaler Erkrankungen die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Eine offene Kommunikation ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Neben diesem Wahrnehmen der Vorbildfunktion kann der Personalbereich zu regelmäßigen Mitarbeitergesprächen einladen, Vorträge zum Thema Mental Health organisieren oder Teamevents anregen.

Wie können Unternehmen die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter stärken?

Die wirtschaftlichen Folgen der zunehmenden psychischen Belastungen am Arbeitsplatz können durch eine umfassende und nachhaltige betriebliche Gesundheitsförderung und ein gutes Stressmanagement erheblich gemildert werden. Die Prävention und Förderung der mentalen Gesundheit gewinnt immer mehr an Bedeutung und Unternehmen stehen zunehmend vor der Frage: Wie können wir unsere Arbeitnehmer bestmöglich unterstützen und Gesundheitsprobleme durch eine zu hohe Arbeitsbelastung vermeiden?

Es gibt viele verschiedene Strategien zur Förderung der psychischen Gesundheit, aus denen Unternehmen auswählen können. Nachdem diesem Aspekt der Gesundheitsförderung die nötige Aufmerksamkeit eingeräumt wurde, kann die strategische Planung erarbeitet werden. Maßnahmen, mit denen Arbeitgeber die seelische Gesundheit ihrer Belegschaft fördern können, umfassen etwa die folgenden Punkte:

  • Arbeitsplatzgestaltung: Von der ausreichenden Beleuchtung über Ruhezonen bis hin zur ansprechenden Gestaltung gibt es verschiedene Ansätze, mit denen sich das Wohlbefinden am Arbeitsplatz steigern lässt.

  • Mitarbeiterbefragungen: Mithilfe von Erhebungen, die am besten anonym durchgeführt werden sollten, ist es möglich, Verbesserungspotenziale im Arbeitsumfeld aufzudecken und Ansätze für Verbesserungsmaßnahmen der psychischen Gesundheit zu finden.

  • KI-Tools: Es gibt mittlerweile immer mehr Tools, die für die Früherkennung von Stresssignalen einsetzbar sind und mit denen auch Maßnahmen entwickelt werden können, mit denen die mentale Gesundheit gefördert wird.

  • Bewegung am Arbeitsplatz: Viele Studien zeigen, dass sich regelmäßige Bewegung und Sport auch auf die psychische Gesundheit positiv auswirken. Durch entsprechende Angebote, die sowohl am Arbeitsplatz als auch digital umsetzbar sind, fördern Arbeitgeber somit nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch das mentale Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter.

  • Offene Kommunikation: Damit Beschäftigte offen über ihre psychische Gesundheit sprechen, sollte eine entsprechende Kultur am Arbeitsplatz herrschen. Nur wenn Mitarbeiter sicher sind, keine Nachteile zu erfahren und auf Verständnis zu stoßen, ist ein offener Austausch über Mental-Health-Themen möglich.

Nicht jeder Betrieb hat die personellen und finanziellen Kapazitäten, um die Gesundheitsvorsorge in diesem Bereich allein sicherstellen zu können. Aus diesem Grund gibt es viele externe psychologische Beratungsstellen und Drittanbieter, die Personalabteilungen unterstützen. Sie können von Mitarbeitern für vertrauliche Gespräche kontaktiert werden oder auch bei globalen Strategien beratend zur Seite stehen. Oft bieten sie auch Trainings und Weiterbildungen für Führungskräfte zum Thema Mental Health an. Ergänzend dazu wurden in den letzten Jahren HR-Programme entwickelt, die es Mitarbeitern ermöglichen, anonym Themen anzusprechen und ihre Sorgen zu äußern.

Während der Ausarbeitung eines Gesundheitskonzepts dürfen Unternehmen allerdings nicht den Fehler machen, sich ausschließlich auf Massagegutscheine und gute Gespräche zur Symptombehandlung zu verlassen. Hausgemachte Probleme wie starre Hierarchien, ein feindseliges Betriebsklima, eine ungünstige Work-Life-Balance und die Förderung von Einzelkämpfern erhöhen die mentale Belastung und begünstigen das Entstehen psychischer Belastungen. Ein reflektierter Blick auf die eigene Unternehmenskultur sollte daher stets Teil der Strategie-Erarbeitung sein. Auch Themen wie Diversität und Inklusion müssen berücksichtigt werden, denn individuelle Stressfaktoren können unter Umständen auf die tägliche Konfrontation mit rassistischen, sexistischen oder diskriminierenden Strukturen zurückzuführen sein.

Welche Bedeutung hat die psychische Gefährdungsbeurteilung?

Gemäß Arbeitsschutzgesetz sind Unternehmen dazu verpflichtet, die psychischen Belastungen der Arbeitnehmer im Rahmen einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung zu erheben. Dies dient dazu, die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz zu verbessern und gesundheitliche Risiken zu erkennen und zu minimieren.

Zu den Maßnahmen, die hierbei durchzuführen sind, zählt die Analyse von Arbeitsabläufen, Arbeitsumgebung und sozialer Interaktion am Arbeitsplatz. Dadurch werden mögliche Stressfaktoren klar identifiziert.

Um eine solche Gefährdungsbeurteilung gesetzeskonform durchzuführen, müssen die Mitarbeiter beteiligt und geeignete Methoden zur Erkennung von Stressoren eingesetzt werden. Zudem ist es wichtig, die Beurteilung regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren und Maßnahmen zur Reduzierung stressauslösender Faktoren umzusetzen.

Eine Nichtbeachtung dieser Pflicht kann schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Um die Einhaltung zu gewährleisten, überwachen Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsichtsämter und andere Aufsichtsbehörden Unternehmen und prüfen, ob die Beurteilung korrekt umgesetzt wird.

Hier noch einige Denkanstöße für die Mental Health-Prävention:

  • Kooperationen im Sinne der mentalen Gesundheit etablieren (Meditations-Apps, Sportmitgliedschaften),

  • regelmäßige Schulungen und Workshops zum Thema psychisches Wohlbefinden und zur Stressbewältigung durchführen,

  • Hierarchien überdenken und Verantwortungsbereiche aufteilen,

  • anonyme und offene Kanäle zur Äußerung von Feedback und Problemen einrichten,

  • Zusammenarbeit und ein wertschätzendes Betriebsklima fördern,

  • gemeinsame Teamevents, Pausengespräche und Betriebsausflüge initiieren,

  • eine positive Fehlerkultur etablieren,

  • Maßnahmen für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit integrieren (grüne Initiativen steigern das Wohlbefinden des Personals),

  • regelmäßige Überprüfung der Effektivität der gewählten Maßnahmen.

Für jede Form der Prävention gilt allerdings auch: Alles kann, nichts muss. Und niemand darf zur Teilnahme an Gefühlskreisen und Team-Building-Events gedrängt werden. Nach und nach zeichnet sich ein Wandel hin zu mehr Offenheit im Umgang mit psychischen Problemen und der seelischen Gesundheit ab. Dieser Wandel geschieht jedoch nicht von heute auf morgen und daher brauchen auch die motiviertesten HR-Manager Geduld. Die Corona-Krise scheint in dieser Hinsicht einen positiven Nebeneffekt zu haben: Immer mehr Menschen lernen, offener über das Tabuthema Mental Health zu sprechen, und so sollten es auch Unternehmen machen.

Quellen:

https://www.dak.de/dak/bundesthemen/psychreport-2022-2533048.html#/

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung/gesundheit-und-wohlbefinden-am-arbeitsplatz.html

https://insights.urbansportsclub.com/de/mitarbeiterbindung/hr-gesundheit-die-grundlage-fuer-eine-psychisch-stabile-belegschaft/

https://deep-care.de/mentale-gesundheit-am-arbeitsplatz/

https://www.stepstone.de/e-recruiting/hr-wissen/arbeitsmarkt/mental-health-am-arbeitsplatz/

Über die Autorin: Lisa Rätze
Lisa Rätze

Lisa Rätze ist Redakteurin bei hiral für HR-Themen. Sie hat einen Abschluss für das Studium Lehramt an Grundschulen, unter anderem mit dem Studienfach Deutsch, und befindet sich nun im Bachelor für Psychologie. Ihr Fokus liegt auf Persolmanagement und Recruiting.

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